Rede zur Verleihung des Preises Augsburger Friedensfest

Rede zur Verleihung des Preises Augsburger Friedensfest
9. Oktober 2023

- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gäste dieses Festaktes,
liebe Ehrengäste,
liebe Preisträgerin, sehr geehrte Frau Eigendorf!

Willkommen in Augsburg. Willkommen zur Friedenspreis-Verleihung 2023, in besonderen Zeiten, die wir uns so bei der letzten Verleihung vor drei Jahren wohl kaum vorstellen konnten.

Und das, obwohl wir damals bereits mitten im ersten Corona-Winter steckten. Vielen von uns wurde da erstmals ungewohnt deutlich vor Augen geführt, wie zerbrechlich die vermeintliche Selbstverständlichkeit unserer Welt ist.

Wir wussten auch nicht, und wir konnten uns nicht vorstellen, dass ein Krieg in Europa toben würde, wenn wir uns drei Jahre später wiedersehen würden. Ein anhaltender Krieg, dessen Ende nicht absehbar ist. Dass Israel ein neuer Krieg auferzwungen wird, ein Terrorgroßangriff so überraschend wie perfide und brutal, der die ganze freiheitliche Welt in Schock versetzt. Ein entsetzlicher Angriff, nicht nur auf Israel, sondern auf unserer aller Werte.

Ich will zu einem solch feierlichen Anlass weder ein dystopisches Weltbild zeichnen, noch Angst machen.

Aber wenn wir über Frieden sprechen, sprechen wir immer auch über Krieg. Und Krieg beginnt da, wo die Werkzeuge der Demokratie enden. Das zeigt sowohl der Krieg gegen die Ukraine, als auch der Krieg gegen Israel auf tragische, herzzerreißende Weise in diesen Tagen. Wenn Demokratie funktioniert, dann ist die Wahrscheinlichkeit eines Krieges, in unserer heutigen Zeit, doch sehr, sehr gering.

Wenn aber eine der beteiligten Konflikt-Parteien die Demokratie ablehnt, ihre Grundpfeiler der Gewaltenteilung, ihre rechtlichen und ethischen Werte verachtet, dann ist schnell alles Reden über Diplomatie, „Friedensbemühungen“, „Annäherung“ nur Trug und Schein. 

Und so ist das nun mal mit dem Russland von Putin. Ich sage ausdrücklich: Putins Russland. Nicht das Russland vieler Menschen, die dort ebenfalls ihre Heimat, vielleicht nur ihre politische Heimat, verloren haben.

Nicht das Russland Solschenyzins, Gogols, Strawinskys oder Rachmaninoffs, und ganz sicher auch nicht das Russland von Nawalny oder Pussy Riot.

Das ist so in der Welt der Taliban, der Hisbollah und der Hamas. Nicht in der Welt von Familien egal welcher Religion, die wollen, dass ihre Kinder in Frieden aufwachsen.

Es ist das Russland des Despoten Putin, es ist die Welt mehrerer arabischer Führer, die nichts so verachten wie uns, unsere Werte, unsere Grundpfeiler der Demokratie: den sogenannten Westen.

Und einer dieser Grundpfeiler ist die freie Meinungsäußerung, die auch die Arbeit des Journalismus begründet. Diese, weiter gefasst, „Informationsfreiheit“ ist im Artikel 5 Absatz 1 unseres Grundgesetzes festgeschrieben.

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt“.

Eine Zensur findet nicht statt!

Was für ein klarer, unverschnörkelter, wunderbarer Satz.

Er drückt das aus, was wir gewähren und gelegentlich auch aushalten müssen, wenn wir von der „vierten Gewalt“ reden, die unser deutsches Prinzip von Checks und Balances um ein so wichtiges Element ergänzt: Medien berichten, kritisieren und recherchieren hierzulande so frei wie es nur geht. 

Jetzt könnte man natürlich sagen: schöne Feiertagsrede, da werden ja gerne mal die Vorzüge der deutschen Pressefreiheit gepriesen, die wir uns so hart erkämpft haben und um die wir ja auch hart debattieren, man denke nur das Öffentlich-Rechtliche-Rundfunksystem.

Ich sehe aber auch die Abgründe der Meinungsfreiheit.

Wir stehen nämlich noch in einem Krieg. Denn wo die Meinungsäußerung frei ist, da wird manipuliert, was das Zeug hält. Es ist ein Manipulationskrieg, der im Internet tobt.

Früher wurde geschwärzt. Heute wird getrollt.

Sie wissen ja, ich nutze gerne und oft die Sozialen Medien, besonders Instagram. Es lassen sich darüber nun mal schnell und unkompliziert bestimmte Botschaften transportieren.

Auch Twitter benutze ich. X heißt die Plattform mittlerweile und sie gehört dem reichsten Mann der Welt, dem Tesla Gründer Elon Musk.

Wir mögen uns viel über aufgeblasene Strukturen und Kosten bei den Öffentlich-Rechtlichen beschweren.

Aber X, also Twitter, ist genauso mächtig wie das ZDF, die ARD, die BBC zusammen. Vielleicht noch viel mächtiger.

Der Unterschied: Niemand übt bei X Checks und Balances aus. Niemand weiß mehr, wie X operiert und welche Regeln gelten. Es gibt keine Regulierung, keine Regeln, kein Aufsichtsgremium, keine demokratische Kontrolle. Und so wundert es doch nicht, dass hier Trolle, künstliche Profile, bezahlt von bösen Staatenlenkern wie Putin, auf einmal ganz gezielt Meinung machen. Und draußen wird das nachgesprochen, was diese Manipulatoren so von sich geben. Und so kann es zur absurden Situation kommen, dass der reichste Mann der Welt, ein Mann des Kapitalismus und des Westens, Herrn Putin in einhelligem Geschäftsinteresse die Hand reicht.

Krieg da draußen ist immer gut für das Geschäft in den Medien, denn dann wird geklickt, und gescrollt, und gewischt und Online-Lesedauer erzeugt.

Auch das ist Teil der Wahrheit, und wir alle sind Teil davon.

Damit das Grundprinzip der Meinungsfreiheit nicht in die Hände von Geschäftemachern, Despoten und religiösen Fanatikern fällt – manchmal sind sie ja alles in einem – brauchen wir ethisch handelnde, demokratisch denkende, unkorrumpierbare, Journalistinnen und Journalisten. Menschen wie Katrin Eigendorf.

Ich habe mir bei der Vorbereitung für diese Rede die Mühe gemacht, mir alle Preisträgerinnen und Preisträger der vergangenen Jahrzehnte anzusehen. In Erinnerung sind ja oft nur die prominentesten Namen – wie Michail Gorbatschow im Jahr 2005 oder Richard von Weizsäcker 1994. Mir ist etwas Erstaunliches dabei aufgefallen:

In fast 40 Jahren waren Politiker, NGO-Gründerinnen und Vertreter, Staatsoberhäupter, Geistliche und Kirchenrepräsentanten unter den Preisträgern.

Ein Vertreter dieser vierten Gewalt, ein Journalist, eine Journalistin, war noch nie dabei.

Das ist eigentlich erstaunlich. 

Und doch auf eine Art auch nicht. Denn die Wichtigkeit einer Sache wird ja meist erst dann präsent, wenn sie die eigene Lebensrealität berührt.

Der letzte große Krieg, der Zweiten Weltkrieg, liegt mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Meine Eltern haben ihn noch als Kinder miterlebt, die Generationen, die folgten, blieben von dieser Erfahrung verschont. Seither leben wir hier in paradiesisch anmutenden Zeiten.

Aufbau der neuen Europäischen Union, transatlantische Bündnispolitik, Ostannäherung, Abrüstung, Mauerfall, Zusammenbruch des Sozialismus und auch der Zerfall der alten Sowjetunion.

Frieden war immer etwas, das erstrebt wurde, ausgeweitet, verbessert wurde. Man hatte das Gefühl, die Utopie einer tatsächlich friedlichen Welt wäre tatsächlich eine Option.

Krieg, so dachten wir, ist immer weit weit weg, in Afghanistan, oder sonst wo, wo wir eh nie Urlaub machen würden.

Sie waren schon lange dort, Frau Eigendorf, und keineswegs im Urlaub. Sondern mit Schussweste und Helm. Und mit Ihren Waffen, der Kamera und dem Mikrofon.

Sie haben diese gefährlichen Orte nicht gescheut, natürlich von Berufs wegen, aber auch, weil es für Sie innerer Auftrag ist, so jedenfalls habe ich das gelesen und verstanden.

Aus dem TV-Gerät heraus erklärten Sie uns, wie welcher Konflikt zustande kam und wer darunter leidet.

Wir saßen meist zuhause, mit Erdnüssen und einem Kaltgetränk in der Hand, und schauten staunend zu, mitfühlend bestimmt, aber vor allem: aus der Distanz.

Bis zu jenem Tag, an dem der Krieg uns ganz nahe kam.

Und seitdem berühren sich unsere Lebenskreise gegenseitig, denn Sie berichten nicht aus „JWD“, aus hinterm Horizont, aus irgendeinem Morgenland – sie berichten aus Raketenreichweite, aus Geschossdistanz. Aus der Nachbarschaft.

Wir hören Ihnen zu. Wir staunen über Ihren Mut. Wir erkennen Ihre Klarheit. Wir verstehen, weil wir zuhören.

Das alles, ohne die spätere Laudatio von Kurt Kister vorwegzunehmen, ist der beste und trefflichste Grund, warum im Jahr 2023 zum ersten Mal eine Journalistin mit dem Friedenspreis der Stadt Augsburg ausgezeichnet wird, und das so was von zurecht.

Liebe Frau Eigendorf, schön Sie hier in echt kennenlernen zu dürfen, Sie in unserer Stadt, in unserem prachtvollen Goldenen Saal begrüßen zu dürfen.

Einen guten Journalisten – so ein berühmter Satz - erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht einer guten. Hanns-Joachim Friedrichs soll das gesagt haben, bzw. schon sein Mentor.

Ich denke, ich spreche dennoch in diesem Sinne, wenn ich sage, dass wir hier eine Differenzierung machen dürfen. Sie machen Sie gemein mit einer Sache und sind nicht nur trotzdem, sondern gerade deshalb eine gute Journalistin, denn Sie, liebe Frau Eigendorf, machen sich gemein mit einer Sache, die von unermesslichem Wert ist – mit dem Frieden. Frieden und Freiheit sind untrennbar miteinander verbunden, Frieden und Freiheit gibt es nicht, wenn es sie nicht für alle gibt! Frieden ist keine parteipolitische Haltung, keine Frage persönlicher Meinung und Betroffenheit. Frieden ist ein Menschenrecht. Frieden sichert unsere Freiheit.

Dafür herzlichen Dank aus Augsburg und im Namen aller Augsburgerinnen und Augsburger, die sich der Idee des Ausgleichs, der Parität, des gegenseitigen Respekts – des Friedens verschrieben haben - und großen Glückwunsch zu diesem, bedeutendsten Preis unserer Stadt.

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