Fachkräftemangel im Sozialbereich

Liebe Leserinnen und liebe Leser,

haben Sie in letzter Zeit schon einmal versucht, kurzfristig einen Handwerker zu engagieren? Sehr oft ist das ein aussichtsloses Verlangen, verfügbare Zeitfenster erst in weiter Zukunft möglich. Wenn man fragt, woran es liegt, lautet die Antwort in der Regel: Fachkräftemangel.

Als Chefin einer großen Kommunalverwaltung muss ich aber gar nicht bei anderen über den Gartenzaun schauen. Ein Blick in unseren Stellenbesetzungsplan reicht aus, um zu sehen, dass rund 12 % unserer Stellen unbesetzt sind. Klar, in einer Verwaltung mit 6.800 Köpfen wird es immer eine gewisse Fluktuation und damit einhergehend freie Stellen geben. Aber viele Positionen bekommen wir seit vielen Monaten nicht besetzt. Das fängt in der Bauverwaltung an und hört bei unseren Kindertagesstätten auf. So manche Kindergartengruppe harrt der Eröffnung, weil das Personal zur Betreuung fehlt.

Insbesondere der Fachkräftemangel im Sozialbereich steht seit einiger Zeit im Fokus: Ganztagsbetreuung, Ukraine-Krieg, Corona-Pandemie. Der Bedarf an guter Bildung und an bedarfsorientierter Betreuung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen ist in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Damit stehen wir als Kommune nicht alleine da. Viele freie Träger sehen diesen Bedarf genauso, leiden unter dem gleichen Mangel und sehen sich immer weniger in der Lage, ihre Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. Dabei können wir beim Lehrerinnen- und Lehrermangel starten, gehen über das fehlende Personal bei Kinderbetreuungseinrichtungen und enden bei den Häusern der Jugendhilfe. Überall fehlt das Fachpersonal.

In Augsburg haben wir deswegen ein Bündnis zwischen der Stadt und den freien Trägern geschlossen. Auf meine Initiative hin haben wir gemeinsam eine Resolution verabschiedet, die ein umfassendes Maßnahmenpaket formuliert und von über 50 Einrichtungen mit getragen wird (www.augsburg.de/resolution). Klar ist, dass wir als Stadt Augsburg uns nie aus der Verantwortung verabschieden werden, weswegen wir diverse Anstrengungen unternehmen, um Personal zu finden, auszubilden und zu halten. Aber so mache notwendige Handlung kann nur im engen Schulterschluss mit Freistaat und Bund erfolgen, wie beispielsweise die unkompliziertere Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen oder die Ausweitung von Studienplätzen für soziale Arbeit.

Und noch ein Punkt spielt eine wichtige Rolle: die Festlegung von Standards. Deutschland ist Weltmeister im höher, weiter, besser. Doch mit dem bereits vorliegenden Fachkräftemangel in allen sozialen Bereichen - über die Pflege haben wir an dieser Stelle noch gar nicht gesprochen - ist es schon heute nicht mehr leistbar, diese Standards auch zu erfüllen. Wenn der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek also darüber nachdenkt, im Pflegebereich eine Entbürokratisierungsoffensive zu starten, dann rufe ich dringend dazu auf, auch in den übrigen sozialen Bereichen genau solche Überlegungen anzustellen und so manche vermeintliche Errungenschaft auf den Prüfstand zu stellen. Spannend ist in diesem Zusammenhang nämlich, dass bei Anhörungen die großen Verbände sich mit weiteren Standarderhöhungen durchsetzen, während die, die die Arbeit vor Ort machen, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Vielleicht ist es ja möglich, regelmäßig die Praktikerinnen und Praktiker vor Ort anzuhören. Zu den Praktikerinnen und Praktikern vor Ort gehört übrigens auch die kommunale Ebene.

Ihre Eva Weber
stv. Landesvorsitzender der KPV Bayern
Oberbürgermeisterin der Stadt Augsburg

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